Einmal Kaiserschnitt – immer Kaiserschnitt?
Frauen, die nach einem früheren Kaiserschnitt wieder schwanger sind, glauben oft, dass eine Vaginalgeburt gar nicht mehr möglich oder zu riskant sei. Doch ist das wirklich so? Wir klären auf, wann einer natürlichen Entbindung nichts im Wege steht.
Natürliche Geburt oder Kaiserschnitt: Nach Bauchschnitt beides möglich

In den meisten Kliniken ist eine Vaginalgeburt nach einem früheren Kaiserschnitt (VBAC = vaginal birth after caesarean) völlig normal und keinesfalls nur eine Ausnahme. So auch am Marienkrankenhaus in Hamburg. Der dortige Chefarzt für Geburtshilfe und Perinatalmedizin, Dr. Holger Maul, bestätigt dies: „Bei uns ist der VBAC Standard und primäre Empfehlung. Eine Re-Sectio (erneute Schnittentbindung) kommt nur zum Einsatz, wenn die Frau das ausdrücklich fordert. Nach zwei Kaiserschnitten ist der Standard Re-Re-Sectio. Frauen, die es dennoch vaginal versuchen wollen, werden dabei aber unterstützt und dazu ermuntert. Die Zahl derer, die das nach zwei Kaiserschnitten wünschen, ist aber verständlicherweise sehr niedrig. Aber wie gesagt: Möglich ist es.“
Der Wunsch der Schwangeren hat entscheidenden Einfluss
Nach einer vorangegangenen Schnittentbindung wird sehr oft das nächste Kind wieder auf diesem Weg geboren. In rund 70 Prozent der Fälle kommt es zu einer Re-Sectio, also einem erneuten Kaiserschnitt (Quelle: BQS 2007). Die Gründe für diese hohe Rate sind vielfältig und die Zahlen variieren von Klinik zu Klinik. Hatte die Schwangere im Vorfeld eine Geburt via Bauchschnitt, wird meist schon bei kleinen Abweichungen und Unsicherheiten sicherheitshalber eine erneute Sectio durchgeführt. Wie schnell der Operation Vorzug gegeben wird, ist aber bei jeder Entbindung und jedem Krankenhaus individuell verschieden und auch abhängig vom Wunsch der Mutter spontan zu gebären. Viele Frauen versuchen es gar nicht erst mit einer natürlichen Entbindung, da sie Komplikationen wie eine Uterusruptur fürchten oder aber Gefallen an dem geplanten Geburtsereigniss finden.
Ob wieder ein Bauchschnitt nötig ist oder ob ein VBAC (Vaginalgeburt nach Kaiserschnitt) angestrebt werden kann, hängt von den Umständen und ganz entscheidend auch von der persönlichen Einstellung der Schwangeren ab.
Positive Faktoren für das Gelingen einer natürlichen Geburt:
- Natürlicher Wehenbeginn
- Kontinuierliche Hebammenbegleitung
- Erfolgreiche vaginale Entbindung vor dem Kaiserschnitt
- Werte des Kindes (Größe und Gewicht) im Normalbereich
- Waagerechte Gebärmutternarbe
- Grund für vorangegangenen Kaiserschnitt war kein grundsätzlicher Zustand, sondern einmaliger Natur, z.B. Zwillinge, Quer- oder Beckenendlage, Herztöne des Kindes
- Guter Allgemeinzustand der Schwangeren
- Keine Wundheilungsstörungen oder Komplikationen bei vorausgegangenem Kaiserschnitt.
Gründe, die einen erneuten Kaiserschnitt zwingend nötig machen:
- Placenta praevia (Plazenta liegt vor Gebärmutterausgang)
- Verwachsungen der Plazenta mit der Gebärmutter
- Vorausgegangene Uterusruptur (Riss der Gebärmuttermuskulatur)
- Hoher Längsschnitt bei vorherigem Kaiserschnitt (z.B. wegen Frühgeburt)
- Vorangegangene Operationen mit kompletter Eröffnung der Gebärmutterhöhle
- Gründe, die den ersten Kaiserschnitt nötig machten, bestehen fort, z.B. schwere Beckendeformitäten.
Daneben gibt es noch eine Reihe von relativen Indikationen, bei denen oft ein Kaiserschnitt durchgeführt wird, obwohl es nicht unbedingt notwendig wäre, beispielsweise bei
- Hohen Schätzwerten (Größe und Gewicht) des Ungeborenen
- Zwillingen
- Beckenendlage
Wenn sich die werdende Mutter eine natürliche Entbindung wünscht und auch kein medizinischer Grund dagegen spricht, der Frauenarzt aber dennoch davon abrät, sollte sie sich nicht scheuen, eine Zweitmeinung einzuholen.
Verlauf der ersten OP und Gefühle der Frau entscheidend
Dr. Holger Maul, Chefarzt der Frauenklinik des Hamburger Marienkrankenhauses, klärt auf, wann generell eine vaginale Entbindung nach Kaiserschnitt durchführbar ist: „Das ist immer dann möglich, wenn ein sogenannter uteriner Querschnitt (das ist der Standard) beim vorangegangenen Kaiserschnitt durchgeführt wurde. Sollte davon abgewichen worden sein, wurde die Patientin in der Regel schon unmittelbar nach der OP darüber in Kenntnis gesetzt oder im OP-Bericht ist vermerkt, dass eine normale Geburt für die Zukunft nicht empfohlen werden kann. Das sind aber Ausnahmen. Alles ist möglich, solange man in der Lage ist, der Frau das Risiko verständlich zu machen. Niemandem ist geholfen, wenn man danach dasitzt und bedauert, dass man nicht offen über alles gesprochen hat.“ Die Schnittführung an der Gebärmutter wird im OP-Bericht vermerkt, übrigens ist dies von außen nicht ersichtlich, denn der uterine Schnitt hat nichts mit der Narbe in der Bauchdecke zu tun.
Auseinandersetzung mit der Erfahrung Kaiserschnitt
Die werdende Mutter muss selbst entscheiden, ob sie sich für die neue Geburt eine natürliche Entbindung wünscht (vorausgesetzt es sprechen keine medizinischen Gründe dagegen) oder von Anfang an eine Re-Sectio plant. Frauen, die mit dieser Frage konfrontiert werden, sollten sich mit den eigenen Gefühlen und Erfahrungen beschäftigen. Wie war der Kaiserschnitt für mich? Warum wurde er gemacht und wer traf die Entscheidung? Bei Unklarheiten kann man den OP-Bericht anfordern, in dem der detaillierte Ablauf und die Gründe aufgelistet sein müssen. Dies kann helfen, eventuell vorhandene Schuldgefühle zu überwinden und die Entscheidung für die nächste Geburt erleichtern. Auch ein klärendes Gespräch mit einer erfahrenen Hebamme kann Unsicherheiten nehmen.
Die Risiken sind die gleichen
Prinzipiell gelten für Geburten nach früheren Kaiserschnitten die gleichen Vor- und Nachteile, wie bei Erstgebärenden oder nach vorheriger Vaginalentbindung. Beispielsweise bietet eine natürliche Entbindung ein positiveres Geburtserlebnis, einen kürzeren Krankenhaus-Aufenthalt und weniger Schmerzen nach der Geburt. Es besteht jedoch die Gefahr für Verletzungen der Geburtswege, Infektionen des Kindes und es kann im Verlauf zu Komplikationen kommen, die eine sekundäre Sectio (Entscheidung zum Bauchschnitt fällt erst während der Geburt) nötig machen. Wird ein Kaiserschnitt geplant, birgt er geringere Risiken als eine ungeplante Schnittentbindung. Beides bleibt eine ernst zu nehmende Operation mit allen eingriffsbedingten Risiken, sowie beispielsweise möglichen Anpassungsstörungen beim Neugeborenen oder einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für ein Anhaften der Plazenta im Bereich der Uterusnarbe bei späteren Schwangerschaften.
Schreckgespenst Gebärmutterriss
Das Wort „Uterusruptur“ wird oft drohend genannt, wenn es um die Geburt nach einem früheren Bauchschnitt geht. Allein der Gedanke an diese gefürchtete Komplikation veranlasst viele Schwangere, um einen erneuten Kaiserschnitt zu bitten. Schauermärchen von Geburten mit bösem Ausgang schüren die Ängste einer werdenden Mutter noch zusätzlich. Dabei ist das Risiko, dass es zu einem Gebärmutterriss kommt, extrem gering. Dr. Holger Maul nennt konkrete Zahlen: „Das Risiko für eine Uterusruptur unter der Geburt wird nach einmaliger Sectio mit 0,72 Prozent, nach zweimaliger Schnittentbindung mit 1,59 Prozent angegeben.“
Das Deutsche Ärzteblatt berichtet über eine Studie (UKOSS), die zwischen 2009 und 2010 in Großbritannien durchgeführt wurde. In allen 223 Kliniken gab es in einem Zeitraum von einem Jahr 850.000 Geburten, doch nur bei 159 davon (rund 0,02 Prozent) kam es zu einer Ruptur (davon 139 Fälle mit früherem Kaiserschnitt). In den allermeisten Fällen gelang es den Geburtshelfern, diesen Notfall positiv zu beenden.
Ein wirklicher Riss ist selten
Die Ergebnisse vieler Studien variieren, unter anderem weil manchmal schon die sogenannte Gebärmutter-"Dehiszenz" gewertet wird. Dies ist eine eher harmlose Komplikation, bei der die Gebärmuttermuskulatur auseinanderweicht, das umliegende Bauchfell aber intakt bleibt. Eine Uterusruptur dagegen ist eine schwerwiegende Komplikation, die eine Gefahr für Mutter und Kind darstellt. Hierbei kommt es zum Riss in der Muskulatur der Gebärmutter und auch das Bauchfell, das den Uterus umkleidet, reißt ein. Es kommt zu starken inneren Blutungen, was eine schnelle Entbindung nötig macht. Daher ist meistens eine sofortige Not-Sectio nötig, auch dann, wenn nur der bloße Verdacht auf eine Ruptur besteht.
Zu einer Uterusruptur kann es zwar theoretisch schon während der Schwangerschaft kommen, meist geschieht dies aber unter der Geburt nach starker Wehentätigkeit mit kurzen Abständen. Aufmerksame Geburtshelfer können kurz vorher oft eine Unruhe oder extreme Angst bei der Gebärenden beobachten. Im Falle einer Ruptur verändert sich das Muster der kindlichen Herztöne oder sie fallen sogar ganz ab. Meistens stoppen die Wehen abrupt und die Mutter verspürt starke Schmerzen im Bereich der Narbe, welche auch in den Wehenpausen bestehen bleiben. Diese beiden letzten Symptome müssen jedoch nicht auftreten (stille Ruptur).
Erst nach einem Jahr wieder schwanger werden
Einen Einfluss auf das Rupturrisiko hat auch der Abstand zwischen den Geburten. Je weniger Zeit nach dem Kaiserschnitt vergeht, desto größer ist die Gefahr für Komplikationen in der Folgeschwangerschaft. Generell sollten Frauen im ersten Jahr nach einer Schnittentbindung nicht erneut schwanger werden. Besser ist aber, wenn sogar 24 Monate zwischen zwei Geburten liegen, um eine ausreichende Heilung der Narbe zu erreichen.
Was bei der zweiten Geburt beachtet werden sollte
Hat eine Frau schon einmal ein Kind via Bauchschnitt zur Welt gebracht, gibt es ein paar Dinge für spätere natürliche Geburten zu beachten. So ist beispielsweise von sämtlichen Einleitungsversuchen, ob zu Hause oder in der Klinik, dringend abzuraten, weil dadurch das Risiko für Komplikationen generell erhöht wird, erst recht, wenn schon früher ein Kaiserschnitt stattgefunden hat. Laut der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, darf bei einer Entbindung nach früherem Kaiserschnitt kein Prostaglandin Insert oder Misoprostol zur Einleitung angewendet werden. Das Risiko für eine Uterusruptur steigt mit diesen Mitteln stark an.
Der Geburt ihren natürlichen Verlauf lassen
Sämtliche Methoden, die in den natürlichen Geburtsverlauf eingreifen, sollten vermieden werden, das gilt auch für Wehenmittel. Eine PDA ist grundsätzlich möglich, jedoch kann sie Schmerzen im Falle eines Gebärmutterrisses überdecken. Die Überwachung während der Geburt erfolgt genauer und engmaschiger, die Mutter sollte aufmerksam beobachtet und ständig begleitet werden.
Die Geburt muss nicht zwangsläufig in einem Krankenhaus stattfinden, es ist jedoch sehr zu empfehlen. Auch wenn das Risiko äußerst gering ist, so könnte es doch zu Komplikationen kommen, die schnelles Eingreifen erfordern. Deshalb rät Dr. Maul ganz dringend davon ab, in einem solchen Fall eine Hausgeburt in Erwägung zu ziehen. Ist die Schwangerschaft bisher problemlos verlaufen, spricht prinzipiell nichts dagegen, dass ein Baby auf ganz natürliche Weise das Licht der Welt erblickt. Vertrauen in die eigenen Kräfte und die Erfahrung der Geburtshelfer sind die besten Begleiter auf diesem Weg, damit die Geburt zu einem unvergesslichen, positiven Erlebnis werden kann.
Buchtipps
- Ute Taschner und Kathrin Scheck "Meine Wunschgeburt“
(236 Seiten, edition riedenburg Verlag, 24,90 Euro)
Selbstbestimmt gebären nach Kaiserschnitt: Fundierte Informationen und detaillierte Erfahrungsberichte - Caroline Oblasser, Illustriert von Regina Masaracchia "Mama und der Kaiserschnitt“
(84 Seiten, edition riedenburg Verlag, 14,90 Euro)
Das Kindersachbuch zum Thema Kaiserschnitt aus der Reihe „Ich weiß jetzt wie“