Frühe Einschulung

Kann-Kinder: Ist dein Kind wirklich schulreif?

Der Stichtag für den Beginn der Schulpflicht hat sich in vielen Bundesländern nach vorne verschoben. Eltern von so genannten Kann-Kindern stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Schon so jung einschulen oder noch ein Jahr warten? Eltern und Experten erzählen von ihren Erfahrungen.

Autor: Heike Byn

Schule oder Kita? Pauschale Antworten gibt es nicht!

Kann-Kind reif Schule
Foto: © colourbox

Karl ist ein kluges Köpfchen. Er ist wissbegierig, versucht sich in der Kita erfolgreich am Buchstabenmalen, kennt viele Zahlen und kann sich gut konzentrieren. Karl ist ein Kann-Kind, das heißt, er muss im nächsten Jahr noch nicht in die Schule, aber er kann. Die Entscheidung müssen seine Eltern für ihn treffen und die finden das sehr schwierig: „Wenn ich andere Eltern nach ihrer Meinung frage, sagen die meisten, ich soll ihm noch ein bisschen Kindheit gönnen", erzählt seine Mutter Lea. Ganz so einfach machen sie und ihr Mann sich die Sache aber nicht. Für sie ist entscheidend, dass ihr Kind sich da, wo es ist, auch wohlfühlt. Vielleicht ist der beste Platz für Karl im nächsten Jahr die Kita, vielleicht aber auch die Schule? Jedes Kind ist anders und in einem Jahr kann viel passieren. Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es gibt Kinder, die sind auch vor ihrem 6. Geburtstag geistig, körperlich, emotional und sozial fit genug für den Schulalltag. Und es gibt solche, die brauchen noch ein bisschen Zeit zum Reifen.

Kann-Kinder: Unterschiedliche Stichtagsregelung

Deshalb ist es gut, dass es zwar für den Zeitpunkt der Einschulung eine Stichtagsregelung gibt, die auf der einen Seite durch die Kann-Kind-Einschulung und auf der anderen Seite durch die Möglichkeit einer Zurückstellung erweitert wird. Das erlaubt Eltern eine größere Flexibilität für kleine Frühstarter oder Spätzünder. Derzeit gibt es keine bundesweit einheitliche Stichtagsregelung für die Einschulung: Zwischen Schleswig-Holstein und Bayern gelten deshalb unterschiedliche Fristen. Eine detaillierte bundesweite Übersicht bietet euch hier das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung.

Aktuell bewegen sich die Stichtage meist zwischen dem 30. Juni und dem 31. Dezember. Wird euer Kind innerhalb dieses Zeitraums sechs Jahre alt und möchtet ihr es früher einschulen lassen, könnt ihr das bei der Grundschule beantragen, die euer Sohn oder eure Tochter später besuchen soll. Über den Antrag entscheidet die Schulleitung mit Blick auf das Ergebnis einer Schuleingangsuntersuchung.

Schulreif? Auch soziale und emotionale Reife zählen

Solch eine Untersuchung prüft nach einem definierten Kriterienkatalog die kognitiven, körperlichen und sozialen Fähigkeiten eures Kindes.

Vielen Eltern fällt zunächst die positive intellektuelle Entwicklung ihres Kindes auf, doch die anderen Aspekte sind für die Schulreife mindestens genauso wichtig. Liest man in Forumsdiskussionen fällt auf, dass sich viele Eltern zwar Gedanken über die das erste Schuljahr machen, aber nicht immer über die Konsequenzen für die restlichen acht bis elf Jahre der Schullaufbahn nachdenken.

Wenn mein Kind ein Jahr jünger ist als seine Klassenkameraden, dann fällt das in den ersten Grundschuljahren wahrscheinlich nicht auf. Aber schon in der fünften Klasse kann das jetzt noch längere Stillsitzen in der Weiterführenden Schule einem Neunjährigen schwerer fallen als einem Zehnjährigen. Und was, wenn die anderen in die Pubertät kommen und es in seiner Entwicklung noch nicht so weit ist? Wenn sich seine Mitschüler über Schminktipps, Ausgehen und Verliebtsein austauschen und der Sohn oder die Tochter im Kopf noch ganz woanders ist? Wird mein Kind dann zum Außenseiter? Miriam Beckmann war einst selbst ein Kann-Kind und wurde früher eingeschult. In der Grundschule fiel der Altersunterschied zu den anderen Schülern nicht ins Gewicht. Danach besuchte sie eine Mädchenschule. „Ich war mit Abstand die Jüngste in der Klasse. Zwischen mir und dem ältesten Mädchen lagen satte zwei Jahre. Wir lebten praktisch in zwei verschiedenen Welten." Ihre Erfahrung hat sie und ihren Mann schließlich dazu bewogen, ihre Tochter Sara – ebenfalls ein Kann-Kind - noch ein Jahr länger im Kindergarten zu belassen.

Wer kann Eltern bei der Entscheidung helfen?

„Wenn ein Kind schon mit fünf lesen kann, ist das eine tolle Leistung, die aber nichts darüber aussagt, ob es auch schon reif für die Schule ist. Das ist erst der Fall, wenn es auch emotional stabil und sozial reif ist, beim Spielen auch verlieren und sich über längere Zeit konzentrieren kann", betont Josef Zimmermann, Leiter einer Kölner Familienberatungsstelle. Was rät er unsicheren Eltern von Kann-Kindern? „Gespräche mit dem Kinderarzt können genauso helfen, wie mit den Erziehern im Kindergarten. Viele Schulen bieten auch tageweise Probeunterricht an, in dem Lehrer einen guten ersten Eindruck von zukünftigen Erstklässlern gewinnen." Der Kinderpsychologe empfiehlt weiter, das Kind beim Spielen oder Erledigen von Aufgaben genau zu beobachten – so lasse sich der Entwicklungsstand besser abschätzen.

Solch eine Phase des Beobachtens und Abwägens haben auch Martina und Reiner erlebt, Eltern von drei Kindern zwischen zwölf und sieben Jahren. Sollten sie ihre sehr fitte und verantwortungsbewusste Älteste schon mit fünf Jahren in die Schule geben? „Wir haben lange hin und her überlegt, weil niemand sicher vorhersagen kann, wie es wohl weiter laufen wird. Am Ende hat dann eine Frage die Entscheidung gebracht: Was wäre schlimmer – zu früh einschulen oder zu lange im Kindergarten bleiben?' Da war uns klar: Wir schulen nicht ein!

Zu einem anderen Ergebnis kamen hingegen Marco und Tia: Schon mit vier Jahren wollte Sohn Lucas unbedingt in die Schule gehen. Ein Jahr später hatte er sich das Lesen beigebracht, rechnete mit den Fingern und war in der Kita als Experte für Parasiten, Raketen und Vulkane bekannt. Den Jungen früher in die Schule zu schicken, haben seine Eltern nicht bereut. Auch wenn sich Lucas am Anfang schwer damit getan hat, Anschluss zu finden – so ganz ohne seine Freunde aus der Kita um sich herum. Dafür kommt er in der Schule genau die Anregungen, die er gebraucht hat.

Alternativen für Kann-Kinder: Vorschule und flexible Einstiegsklasse

Steht ihr auch vor so einer schwierigen Entscheidung und könnt nicht abschätzen, ob der nötige Schub an emotionaler oder sozialer Reife innerhalb der nächsten Monate noch kommt oder nicht? Oder möchtet ihr mit der Einschulung lieber noch warten, während euer Kind stark unter der Vorstellung leidet, ohne seine liebste Freundin oder den besten Kumpel alleine im Kindergarten zurückzubleiben? Vielleicht hilft euch bei der Entscheidungsfindung, dass heute viele Kitas grundsätzlich alle Kann-Kinder für ihre Vorschulprogramme miteinplanen und damit schon früh auf die Schule vorbereiten. So lässt sich ohne Druck und in Ruhe für alle Beteiligten testen, ob das Kind tatsächlich den Spaß und die Ausdauer an schulverwandten Aktivitäten hat wie z.B. Sprachspielen, Englischlernen oder Theaterwerkstatt. Zudem haben einige Bundesländer eine flexible Einstiegsphase eingeführt. Die funktioniert so: Die ersten beiden Grundschuljahre werden als Einheit gesehen. Je nach Entwicklungsstand bleiben die Kinder ein, zwei oder drei Jahre in so einer Gruppe, bevor sie in die 3. Klasse versetzt werden, wo es dann erstmals Schulnoten gibt. Der Vorteil: Die Spätzünder haben Zeit zu reifen, die Schnell-Lerner können problemlos eine Klasse überspringen und die Eltern von Kann-Kindern gehen kein Risiko ein.

Einschulung oder warten? Tipps für Unentschlossene

  • Was sagen Erzieher, Trainer, Musiklehrer?
    Sie kennen das Kind aus Kita oder Freizeit und können seine Fähigkeiten gut mit denen von anderen vergleichen
  • Wie lautet das Fazit von Schulamtsarzt und Kinderarzt?
    Enthalten Schuleingangsuntersuchung und U9 beim Kinderarzt eine eindeutige Empfehlung? Im Zweifelsfall nachfragen!
  • Neuer Blick aufs eigene Kind
    Versucht, euer Kind mit fremden Augen zu sehen: Wie selbstständig ist es? Ist es selbstbewusst? Kann es gut still sitzen und sich konzentrieren
  • Chancen in der Schule checken
    Ab wann gibt es Noten? Wer entscheidet nach der 4. Klasse über die weitere Laufbahn? Gibt es flexible Eingangsklassen, in denen ältere Kinder den jüngeren helfen?
  • Was will dein Kind?
    Auch die Einstellung des Kindes ist wichtig: Hat es im Kindergarten noch viel Spaß und sieht seiner eventuellen Einschulung ängstlich entgegen?