Von Astlöchern und Knalldeppen

Mein Kind und seine Schimpfwörter

Groß ist das Entsetzen, wenn der Nachwuchs Dinge von sich gibt, die man lieber nicht hören möchte: deftige Schimpfwörter, die Eltern zum Erziehungsratgeber greifen lassen. Eine Glosse über entschärfte „A...löcher“ (Astlöcher) und solche, die von ihren Kleinkindern in Zukunft dazu ernannt werden.

Autor: Daniela Egert

Gesprächstermin im Kindergarten

Kleinkind Mädchen wütend
Foto: © panthermedia.net/maximkabb

Erziehung ist nichts für Feiglinge! Das habe ich gerade wieder erfahren müssen, als ich in den Kindergarten gerufen wurde, um mir den aktuellen Stand der Dinge bei meiner Jüngsten anzuhören. Antonia ist 2 3/4 und ein aufgewecktes Kind - nicht immer zur reinen Freude ihrer Umgebung. Sie zu schockieren, ist schwer, nachdem sie bereits als Baby das harte Trainingslager ihrer Brüder durchlief. Das Dschungelcamp ist nichts dagegen. Der Höhepunkt war erreicht, als Simon (7) versuchte, die  Puppe seiner Konkurrentin um die elterliche Gunst über unserem Kaminfeuer zu rösten. „Ist für Jugend forscht“, äußerte er knapp. Aha, eine Investition in die Zukunft sozusagen. Das Schicksal, neben Rabauken aufzuwachsen, hat Antonia ein paar blaue Flecken an Körper und Seele beschert. Und mir die undankbare Aufgabe, wie ein Zerberus über Wohl und Wehe meiner Kleinen zu wachen.

„Du kommst hier nicht rein!“ schreie ich wie der Türhüter vor einer Russendisco, wenn Simon  oder der vierjährige Constantin sich der rosaroten Kammer meiner Zuckerschnecke nähern. Erst recht, wenn dabei ein Samurai-Schwert, eine ausrangierte Bratpfanne oder unser Brotbackautomat drohend über ihrem Kopf schwebt. Ich kenne die Wutanfälle meiner Pappenheimer, und ich fürchte sie! Ab und zu würde ich gegen die Jungs gerne drastischer vorgehen, was die in mir abgespeicherte moderne Pädagogik jedoch verhindert.

Zwischen Zuckerbrot und Peitsche

Kinder sind wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man kriegt. Manchmal ist das auch besser so. Wenn sie das nur während der letzten Presswehe gewusst hätte, stöhnt meine Freundin immer. Wieso denn? Hätte sie das Gör dann drinbehalten, um den Rest ihres Lebens wie ein Fesselballon herumzulaufen? Die hat Nerven! Ich selbst schwanke in der Erziehung zwischen Bernhard Bueb und Jan-Uwe Rogge, also zwischen Peitsche und Zuckerbrot – wer von beiden den Sieg davonträgt, hängt davon ab, wie ich gerade drauf bin. Wie gut, dass das beste Töchterlein von allen längst gelernt hat, sich mit Hilfe einiger sehr kreativer Ausdrücke selbst zu helfen. „Böse Nuss!“ schreit sie beispielsweise ihre Brüder an, wenn sie sich mal wieder gegen eine Attacke wehren muss. Schlimmere Ausdrücke waren bislang von ihr nicht zu hören. Schließlich ist sie ein braves Mädchen, dachte ich und war stolz darauf. Bis ich den Termin im Kindergarten hatte.

Das Gespräch lässt sich ruhig an

Alles ließ sich ganz harmlos an. Die übliche Palette eben: Ihre Hausschuhe seien winzig, dafür sind die Windeln zu groß, kommentierte die Erzieherin das Wohlergehen meiner Süßen. Morgens soll sie pünktlicher kommen; Läusealarm in der Zebra-Gruppe, blablabla. Ich merkte erst auf, als die Rede auf Antonias Sprache kam. Da gebe es das eine oder andere Problem, hieß es. Wie bitte, dieser Bereich regelt sich bei den Lauras, Lisas und Maries dieser Welt doch wohl von selbst! Die plappern doch schon im embryonalen Zustand mit dem Mutterkuchen, dass es eine wahre Freude ist. Am tollsten wäre es, wenn werdende Mütter Handys verschlucken könnten (bei Jungs: Verschlucken sie eine Play Station!). Falls das Smartphone den weiblichen Fötus erreicht, dann könnte man ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat miteinander telefonieren und mit ein bisschen Nachhilfe - Mädchen sind ja so klug! - die erste, blind verfasste SMS von der Ungeborenen empfangen: „Cool hier drin, Mama, schön warm in deinem Bauch. Leider gibt es was zu meckern: Hier ist es eintönig und ziemlich dunkel!“ Denn Mädchen sind auch kritisch und wollen beschäftigt werden. 

Kraftausdrücke unter Kleinkindern

Rowdys sind sie nicht. Nun aber musste ich erfahren, dass Antonia  in der Krippe seit kurzem schlimme Kraftausdrücke von sich gab. „Du A...loch!“ posaunte sie, wenn ein Junge ihr den Lieblingsteddy wegnahm. So klagte jedenfalls die Erzieherin, die vom Glück, täglich fünfzehn putzmuntere Windelträger um sich zu scharen, sichtbar gezeichnet war. Sie beklagte sich bei mir darüber, dass Fräulein Egert oft ohne erkennbaren Grund wie ein Bierkutscher herumkrakeele und fluche. Und dass mein Musternachwuchs andere Kleinkinder anblaffe: „Blöder Wixer!“ Was bei ihr allerdings so genuschelt sei, dass es mehr wie „blöder Mixer!“ klang.

>Meine Gesichtsfarbe wechselte von hellrot zu dunkelgrün. „Das hat sie von ihren Brüdern,“ stammelte ich, um den Eindruck zu vermeiden, dass wir zu Hause alle im Jargon von Ganzkörper-tätowierten Ex-Knackis verkehrten. Und ich versprach der besorgten Frau von der Kita St. Nikolaus: „Das treibe ich denen schon aus!“ Blöd nur, dass Simon und Constantin in derselben Einrichtung erzogen wurden und ich hier nur schwer vermitteln konnte, dass es sich bei den beiden um bekehrbare Engel handelt. Geknickt und möglichst schnell zog ich meinen Spross an und schlich von der Stätte ihrer verbalen Entgleisungen. 

Wie gewöhne ich meinem Kind Schimpfwörter ab? Der bekannte Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge gibt in diesem Video die Antwort:

Jetzt hilft nur noch der Erziehungsratgeber

Daheim angekommen, nahm ich mein pflanzliches Beruhigungsmittel (Lavendel), warf den Hamster in den Hausmüll und stecke das eben benutzte Zewa-Tuch in den Kleintierkäfig. Der Hamster konnte sich selbst befreien und nagte wenig später beleidigt an einem Stück Kohlrabi. Dann zog ich Jan-Uwe Rogges „Kleiner Erziehungshelfer“ aus dem leicht eingestaubten Buchregal; mein Feuerlöscher für familiäre Brandherde. Die harte Hand des strengen Ex-Internatsleiters Bueb wollte ich meiner Zweijährigen ersparen. Herr Rogge, der Herzliche, wusste um die Not der Eltern wie der „Generation Schnuller“, und er wusste Abhilfe. Erleichtert las ich, dass meine Panik – wie auch die der Erzieherin – unbegründet war. Dies illustrierte mein pädagogischer Säulenheiliger mittels folgender Konfliktszene:

„Caroline, fünf Jahre, ist sauer auf ihre Mutter. Sie hat ihr Süßigkeiten verwehrt, als Caroline vor dem Fernsehapparat saß. Als die Mutter dem wiederholten Drängeln nicht nachgab, zischte Caroline: „Blöde Kuh!“
„Das nimmst du zurück!“
Caroline wendet sich demonstrativ ab.
„Du entschuldigst dich!“ Die Mutter klingt unmissverständlich: „Und zwar sofort!“
Caroline stöhnt: „`Tschuldigung, du blöde Kuh!“

Dazu heißt es bei Jan-Uwe Rogge beschwichtigend: „Grenzüberschreitungen mittels Sprache sind Versuche der Orientierung, der Reibung an bestehenden Normen und Werten.“ Es handle sich dabei um „spielerisch-lustvolle Schritte“. Das Ausprobieren von „Schweineworten“ vor dem Schulalter sei daher ganz normal.

Ich habe eine Idee

Ermutigt kniete ich mich vor Antonia hin.
„Wie heißt das böse Wort?“ fragte ich milde.
„A..loch, A..loch!“ kreischte sie unflätig los. 

Eine steile Falte schob sich zwischen meine Augenbrauen. Ich wollte auf keinen Fall, dass mein Töchterchen später mal an robusten Stellen wie einer Baustelle zuständig für den Bier- und Zigarettennachschub war oder als Angestellte eines Piercing-Studios endete. An Orten also, wo man so einen Ton vielleicht gutheißen würde. Diese Vision war fast so schlimm wie die, künftig Rolf Zuckowski-CDs in Endlosschleife anhören zu müssen – oder die von Benjamin Blümchen. Daher beschloss ich, trotz der mir empfohlenen Gelassenheit, Antonias Geschnatter zu entschärfen.

„Astloch!“ beschwor ich sie also, „sag ab sofort Astloch!“
Wie tricky von mir!

Meine Jüngste stutzte sichtbar und überlegte eine Weile vor sich hin. Den ganzen Tag über fuhr ich unverdrossen fort, sie verbal umzupolen. Und ich hatte Erfolg.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

„Astloch!“ trompetete sie am Abend, als ihr der mittlere Bruder den Marmeladen-Pfannkuchen vom Teller zog. Und „Astloch!“, kommentierte sie es empört, als ich sie ohne Sandmännchen ins Bett schicken wollte. Na also, ab sofort konnten die von der Tagesstätte nicht mehr meckern. Beruhigt fuhr ich meine Zweijährige am nächsten Tag wieder hin. Tatsächlich ließ sie sich brav zu den anderen in den Gruppenraum schieben. Sie meckerte nur ganz leise vor sich hin, wie ich zufrieden feststellte. Soweit ich es mitbekommen habe, sagte sie „Knalldepp!“ oder so ähnlich. Der Junge, den sie damit bedachte, hat auch gar nicht geweint. Stattdessen hat dieser Prügelknabe nach meiner armen, süßen, wehrlosen Antonia gehauen. Auch wenn er sie nicht erwischte, war mein Mutterherz auf 180. „Du sch... A...loch!“ knatschte ich maurermäßig im Weggehen. Zum Glück hat es die Kindergartentante nicht gehört.