Schwanger: Was fühlt mein Baby schon?
Was kann das Baby in meinem Bauch schon fühlen? Bekommt es meinen Stress, Freude oder Traurigkeit mit? Ab wann kann es hören, sehen, Schmerz empfinden? Wissenschaftler sind diesen Fragen auf den Grund gegangen. Hier gibt es die zum Teil erstaunlichen Antworten.
Wann spürt man das Baby im Bauch?

„Sie hat ein Baby bekommen“ oder „Sie ist gerade Mutter geworden“ sagt man über eine Frau, die ein Kind zur Welt gebracht hat. Diese alltäglichen Sätze drücken eine erstaunliche Einstellung aus: Dass nämlich eine Frau erst dann ein Baby hat und Mutter ist, wenn ihr Kind die Gebärmutter verlassen hat. Durch die Möglichkeit, im Ultraschall schon frühe Blicke auf den Fötus zu werfen, spüren heute immer mehr Eltern: Sie sind bereits Vater und Mutter, wenn sich ihr Baby noch im Mutterleib befindet. Sie bauen also früher eine Beziehung zum Kind auf, und interessieren sich dadurch zunehmend auch dafür, was der Fötus eigentlich schon alles fühlen kann. Bekommt er Stress, Wut oder Traurigkeit der Mutter mit? Ab wann kann das Baby im Bauch hören, sehen, Schmerz empfinden? Und kann man sein Kind schon im Mutterleib fördern? Fragen, auf die Wissenschaftler zum Teil erstaunliche Antworten haben.
Spüren Ungeborene die Stimmung der Mutter?
Wie wichtig der Bauch im Seelenleben eines Menschen ist, sagt schon die Umgangssprache: Man hat „Wut im Bauch“ oder spürt „Schmetterlinge im Bauch“. Wie ist das aber, wenn man einen kleinen Mitbewohner im Bauch hat? Kommen die Bauchgefühle der Mutter beim Ungeborenen an? Der Psychotherapeut Dr. Ludwig Janus ist sich da absolut sicher: „Wenn wir mit einem anderen Menschen so eng zusammen sind, wie das vor der Geburt der Fall ist, nehmen wir dessen Affektivität (= Gefühle) auf sehr vielen Kanälen wahr“, betont er in einem Interview*. Janus glaubt sogar: „Die vorgeburtlichen Prägungen sind die tiefsten“. Gleichzeitig schränkt er ein: „Es ist letztlich nur zum Teil erforscht, was genau uns die Wut, die Zufriedenheit, die Angst eines anderen Menschen wahrnehmen lässt.“
Als sicher gilt, dass unter anderem bestimmte mütterliche Hormone als Botenstoffe wirken. Sie machen An- oder Entspannung, Trauer, Zorn oder Freude der Mutter für das Baby fühlbar, denn die Plazenta gibt diese stofflichen „Boten“ an das Kind weiter. Fühlt sich die Schwangere gestresst, steigt der Spiegel des Stress-Hormons Cortisol auch im Nabelschnurblut an, erreicht also rasch das Ungeborene. Freut sich die Mutter, werden glücklich machende Endorphine ausgeschüttet und ebenso weitergeleitet.
Ab wann kann ich mein ungeborenes Kind spüren?
Können Ungeborene schon (un-)glücklich sein?
Die Gefühle der Mutter scheinen aber nicht nur beim Baby anzukommen, sondern auch dessen junge Seele nachhaltig zu beeinflussen: „Das entstehende Gehirn des Ungeborenen schaltet sich so, wie das Milieu es vorgibt“, erklärt Dr. Janus, Lehranalytiker und Dozent an verschiedenen Forschungsinstituten. „Wenn dieses Milieu sehr beängstigend ist, dann werden eher die Synapsen (Nervenverbindungen) für Angst, Unruhe und Stress ausgebildet - und weniger diejenigen für Glück und Zufriedenheit. Wenn aber die Mutter in einem guten Verhältnis zu der Schwangerschaft steht, ist es umgekehrt: Dann fühlt sich das Kind auch gewünscht“, glaubt Janus. Manche Forscher sprechen daher sogar von einer vorgeburtlichen „Programmierung“ eines Menschen, die lebenslang nachwirke, wie Professor Peter Nathanielsz von der Cornell University im Bundesstaat New York (USA): „Sie können das schönste Genom (Gesamtheit der Gene) der Welt haben - wenn die Einflüsse im Mutterleib negativ sind, kann ein ziemlich schlechtes Endprodukt dabei herauskommen.“
Bereits noch im Mutterleib, so beobachteten Wissenschaftler im Ultraschall, reagieren die Babys offenbar schon sichtbar auf negative Gefühle der Schwangeren: Die einen werden unruhig, ihre Bewegungen sind fahrig. Die anderen machen sich klein und ziehen Arme und Beine dicht an den Körper heran. Auch die Mimik des Gesichts zeigt, dass das „Bauchkind“ bereits in der 28. Woche ein reiches Gefühlsleben hat: Im hoch auflösenden Spezial-Ultraschall sieht man, wie Babys die Stirn in Falten legen oder ihr kleines Gesicht entspannen und sogar schon Andeutungen eines Lächelns zeigen.
Dass überwiegend negative Gefühle der Schwangeren schädlich sind, zeigt sich auch am Neugeborenen, so Janet DiPietro, Professorin an der Johns Hopkins Universität von Baltimore (USA): Werdende Mütter, die überdurchschnittlich gestresst, depressiv oder angsterfüllt waren, bekämen häufiger Kinder mit einem unterdurchschnittlich entwickelten Gehirn. Ein Anzeichen dafür seien auffallend gleichförmige Herzrhythmen. Solche Kinder, so DiPietro, wirkten auch noch sechs Wochen nach der Geburt zurückgeblieben, sie seien schlaffer, träger, motorisch ungeschickter.
Hat es meinem Kind geschadet, dass die Schwangerschaft viele Tiefen hatte?
Solche Ergebnisse lösen bei vielen Schwangeren Ängste und Schuldgefühle aus: Hat mein Stress im Job, mein jüngster Ehekrach oder die Tatsache, dass ich mich über mein ungeplantes Kind zuerst nicht gefreut habe, meinem Baby geschadet? Wissenschaftler können hier weitgehend beruhigen, denn sie haben vier wichtige Dinge herausgefunden:
- Kurzzeitiger Stress hat keine negativen Folgen. Dies gilt nur für lang anhaltende, extreme Gefühlstiefs. Eine Schwangere darf also ruhig auch einmal sehr wütend oder traurig sein, eine schwierige Phase durchmachen oder auch zwiespältige Gefühle gegenüber ihrem Baby haben.
- Ein ungeborenes Baby lebt vollkommen im Augenblick, es kennt weder Erinnerungen noch eine Vergangenheit. Ist der negative Einfluss vorüber, die Stimmung der Mutter also besser, geht es auch dem Baby wieder gut.
- Es gibt Mechanismen, die der weibliche Körper bereithält, um das Ungeborene vor Stress zu schützen: Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel entwickelt sich in der Plazenta ein bestimmtes Enzym. Es kann das Cortisol, den Stressbotenstoff im Blut, teilweise entschärfen. Nur wenn der Stress zu lange anhält, versagt dieser Mechanismus.
- Bereits Ungeborene haben in zehntausenden von Jahren eine gewisse seelische Stärke entwickelt. Sie „wissen“, dass das Leben ihrer Mütter oft kein Zuckerschlecken ist. Auch Babys im Mutterleib haben daher schon eine gewisse Toleranz gegenüber schwierigeren Zeiten.
Wann hat das Baby all seine Sinne beisammen?
Nicht nur seelisch, sondern auch körperlich sind die winzigen Menschlein schon ganz früh fühlende Wesen: Erste Reaktionen auf Berührungen der Haut zeigt ein Fötus bereits im Alter von 50 Tagen. Zuerst erwacht also der Tastsinn: Schon in der siebten Woche kann das Kind fühlen, wie es vom Fruchtwasser umfangen ist, es spürt das Arbeiten der inneren Organe der Mutter, schwingt mit ihrem Puls leicht mit. Zuerst fühlt das Kind dabei mit der Mundregion, in der sich die meisten Nervenzellen in der Haut befinden. Zwölf Wochen alte Babys haben dann schon winzige Hände, und jede Fingerkuppe ist mit einem Geflecht von empfindsamen Tastzellen ausgestattet. Bis zur 17. Woche greift der Tastsinn schon auf alle Hautregionen über.
Etwa ab der 22. oder 24. Woche nach der Empfängnis spüren Ungeborene wahrscheinlich Schmerzen, heute ist es daher kaum noch vorstellbar, dass noch in den 70er Jahren ein Ungeborenes als gefühllos, blind, taub und ohne Schmerzempfinden galt. Diese Auffassung war so verbreitet, dass frühgeborene Kinder sogar ohne Narkose operiert wurden.
Ab der 17. Woche wird wahrscheinlich auch der Gleichgewichtssinn entwickelt. Das Kind spürt also, wenn die Mutter ihre Lage ändert.
Jede werdende Mutter bemerkt irgendwann: Benutzt sie eine elektrische Zahnbürste oder wird eine Tür zugeschlagen, zuckt das Kind im Bauch zusammen. Zwischen der 18. und der 25. Woche reift nämlich das Gehör des Ungeborenen aus. Vier bis fünf Monate alte Föten haben sogar schon klare Hörvorlieben: Sie schätzen Vivaldi und Mozart, während sie bei kraftvollen Klängen von Beethoven, Brahms oder bei Hard Rock unruhig werden.
In der 20. bis 28. Woche können Kinder bereits schlafen. Über den ganzen Tag verteilt macht das Kind immer wieder „Nickerchen“ von etwa 20 Minuten Dauer. Nun kommen auch die noch fehlenden Sinne hinzu: Das Kind kann sehen (hell/dunkel), riechen und schmecken. Es kann jetzt alles empfinden, was auch ein Neugeborenes kann: Es reagiert auf Berührung, Geräusche, Licht, Geruch oder Geschmack.
Kann man ein Ungeborenes schon fördern?
Angesichts der Fähigkeiten von Ungeborenen kommen vor allem in Japan und in den USA immer mehr Eltern auf die Idee, ihr Kind bereits im Mutterleib zu „fördern“. Der Wunsch, ihr Baby möglichst früh für die Leistungsgesellschaft fit zu machen, treibt Schwangere zu erstaunlichen Maßnahmen: Sie schnallen sich teure Rekorder um den Bauch und berieseln ihre Kinder mit Bach und Beethoven, oder sie lesen ihnen über ein Spezial-Mikrofon Reime und Märchen vor. In den USA (Kalifornien) gibt es sogar eine Prenatal University, eine „Ungeborenen-Universität“. Die ehrgeizige Mutter erfährt dort, wie sie den Fötus ab dem fünften Monat zu bestimmten Zeiten zum Strampeln animieren kann. Danach steht die Vermittlung von Wörtern auf dem Programm, die von fühlbaren Reizen begleitet wird, wie Klopfen oder Drücken. Der Fötus lernt durch seine Mutter angeblich, Wörter, die Tonleiter und sogar Zahlen zu erkennen. Beispiel: Die Mutter sagt „drei!“ und pocht sich dabei dreimal auf den Bauch.
Der Psychiater Bill Fifer (Professor an der New Yorker Columbia University) warnt vor solchen Methoden: Sie würden das ungeborene Kind oft unnötig aufwecken und es gerade dadurch beim Lernen stören. Denn der Fötus im Mutterleib verbringe viel Zeit im REM-Schlaf (rapid eye movements, schnelle Augenbewegungen). Dies ist ein oberflächlicher Schlaf, bei dem das Baby sich viel bewegt - weshalb man bei diesem Schlaf auch vom Entwicklungsschlaf spricht. Auch das Träumen dabei sei immer auch Gehirntraining. Auch andere Forscher warnen: Es bestehe die Gefahr, dass der Fötus durch die Reizüberflutung abstumpfe. Es habe schon seinen Sinn, dass das Kind im geschützten Raum des Mutterleibs heranreife.
Sein Kind wirklich zu fördern, ist mit etwas gesundem Menschenverstand aber dennoch ganz einfach: Indem man sich ihm innerlich zuwendet, Geschichten erzählt, singt. „Alles in dieser Weise: mit Zeit und Gegenwärtigkeit. Das Kind spürt die Zuwendung schon im Mutterleib, und das begünstigt die körperliche, seelische und geistige Entwicklung“, so Ludwig Janus.
Das Ungeborene als vollwertiges Familienmitglied
Was man heute weiß, zeigt: Ein Baby ist schon im Bauch ein Wesen, das auf die innere Zuwendung und Liebe der Mutter (und des Vaters) angewiesen ist. Höhepunkt dieser Entwicklung ist, dass es vier Wochen vor der Geburt sogar schon die Stimme seiner Mutter zweifelsfrei erkennt. Wenn diese spricht, wird sein Puls ruhiger. Andere Stimmen oder Geräusche haben nicht denselben Effekt, beobachtete der Psychiater Bill Fifer. Dr. Janus leitet aus solchen Forschungsergebnissen ab: „Das Kind hat ein Recht auf Beziehung bereits vor der Geburt. Es hat ein Recht darauf, als eigene Person gesehen zu werden, und dass man zu ihm bereits Kontakt aufnimmt. Weiterhin sollten alle medizinischen Untersuchungen oder Eingriffe während der Schwangerschaft und bei der Geburt auf ihre psychologischen Folgen hinterfragt werden.“
* Interview mit Dr. Janus aus ARTE-TV online, Mai 2005.
Zum Weiterlesen
Ludwig Janus: „Der Seelenraum des Ungeborenen. Pränatale Psychologie und Therapie“, Patmos, ISBN 3491698308.
Katharina Zimmer: „Erste Gefühle. Das frühe Band zwischen Kind und Eltern“, Kösel, ISBN 3466304768.
Gerald Hüther, Inge Krens: „Das Geheimnis der ersten neun Monate – unsere frühesten Prägungen“ Patmos, ISBN 353042188X.
Leila Christiane Jäger: „Mit dem Baby reden. Intuitionstraining für werdende Eltern“, Kösel, ISBN 3466344360.